Wahre Liebe lässt frei

Wie bleibt die Partnerschaft lebendig? Durch Freiheit. Was das für die Liebe bedeutet, erläutert Robert Betz im Interview.

Herr Betz, Sie sagen: „Wir schenken der Beziehung zwischen Mann und Frau zu viel Beachtung.“ Das klingt in Zeiten, in denen fast 50 Prozent der Ehen geschieden werden, überraschend. Soll man sich also nicht um die Liebe kümmern?

Ich meine: Wir sollten uns anders umeinander kümmern. Viele Paare sind in einer Art „Du-Sucht“ verstrickt. Sie sind auf den anderen fokussiert und verraten dabei ihr eigenes Herz. Die vielen großen und kleinen Dinge des Alltags und der Beziehung entsprechen oft gar nicht wirklich dem, was sie sich tief im Inneren wünschen.

Und das werfen wir dann unserem Partner vor?

Genau. Dabei haben wir ja unsere Beziehungswirklichkeit selbst gestaltet. Wir übernehmen oft Werte und Normen von unseren Eltern, ohne sie zu hinterfragen. Zum Beispiel: „Ein glückliches Paar verbringt jeden Moment gemeinsam.“ Oder: „Wir schlafen in einem Doppelbett.“ Aber entspricht das tatsächlich unseren Bedürfnissen? Wären getrennte Schlafzimmer oder zumindest getrennte Betten nicht viel angenehmer? Wäre es nicht schön, entscheiden zu können, ob man die Nacht im Energiefeld des Partners verbringen möchte oder lieber nicht? Beziehungen scheitern heute vor allem daran, dass sich die Partner nicht um das Wesentliche in ihrem Leben kümmern: um sich selbst.

Ist nicht genau das der Sinn einer Beziehung: gemeinsam glücklich zu werden?

Natürlich ist in einer intakten Beziehung jeder für den anderen da. Trotzdem: Kein Partner der Welt kann uns glücklich machen. Das können nur wir selbst. Wir glauben, zwei unvollständige Wesen müssten zusammenkommen, um sich zu einer Einheit zu ergänzen. Das klingt sehr romantisch, es ist aber  nichts weniger als Wahnsinn.

Aber wir suchen doch den einen, die eine?

Der Irrtum vieler Paare besteht darin zu glauben, dass –nachdem sie zusammengefunden haben – ihre beiden bisherigen Lebenswege in einen gemeinsamen münden. Das stimmt aber nicht. In Wahrheit gehen sie von nun an drei Wege. Sie geht ihren Weg, er geht seinen,  und beide zusammen gehen einen dritten Weg, nämlich den als Paar. Eine Beziehung ist die Geschichte von Begegnungen zwischen zwei Menschen, in denen diese sich mit Achtung, Respekt und Neugier betrachten. Und nachdem diese Begegnungen stattgefunden haben, gehen wir wieder aus einander, und jeder geht auf seinem eigenen Weg weiter. Jeder sollte auch für sich sein und sich allein weiter entwickeln dürfen. Das ist der größte Liebesdienst, den zwei Menschen einander erweisen können.

Wird mein Partner es wirklich wertschätzen, wenn ich mehr „mein Ding“ mache?

Das kommt auf den Partner an. Vielleicht meckert er am Anfang, weil er irritiert ist. Aber das kann ja auch ein gutes Zeichen sein. In ihm rührt sich etwas. In ihm keimt vielleicht auch der Wunsch, besser für sich selbst zu sorgen. Männer und Frauen verraten zu oft ihr Herz um des lieben Friedens willen. In Krisenmomenten sollten wir uns immer wieder klarmachen: Ein Nein zu einem Wunsch meines Partners ist eine Entscheidung für mich und nicht gegen meinen Partner.

Warum fällt das bloß so schwer?

Beziehungsunglück beginnt in der Kindheit. Die allermeisten von uns haben in den ersten Jahren erfahren, dass man Liebe und Zuwendung durch Leistung und Wohlverhalten verdienen muss, und haben unbewusst verinnerlicht: „So wie ich bin, bin ich nicht in Ordnung, nicht liebenswert, nicht attraktiv für meine Mitmenschen.“ Daraus sind eine Vielzahl von unangenehmen Emotionen entstanden, Angst, Scham-, Schuld- und Kleinheitsgefühle. Die haben wir tief in uns verschlossen, und mit den Jahren hat sich daraus ein Nein zum Leben und zu uns selbst entwickelt.

Und das tragen wir in die Beziehung?

Ja. Da treffen zwei hungrige Kinder aufeinander. Sie empfinden eine große Sehnsucht nach bedingungsloser Liebe, nach Geborgenheit, nach Angenommen- und Bestätigtwerden. Es kommen also zwei Menschen zusammen, die etwas haben wollen, nicht zwei, die etwas geben wollen. Dies ist uns meistens nicht bewusst. Wir sagen zum anderen: „Ich liebe dich!“, aber meinen in Wirklichkeit: „Ich brauche dich! Ich will etwas von dir haben.“ Ich nenne das übrigens gern die „GGBB“ – Gesellschaft zur gegenseitigen Befriedigung von Bedürfnissen.

Und wie kommen wir da heraus?

Wir können uns entscheiden, neu über uns nachzudenken, mit der Selbstverurteilung aufzuhören, die alten lieblosen und herabsetzenden Gedanken anzuschauen und zu korrigieren.

Klingt logisch. Aber wenn ich mich unattraktiv und schwach fühle, kann ich doch nicht einfach beschließen, anders zu empfinden …

Der wichtigste Schritt ist, diese Gefühle anzunehmen und ihnen zu erlauben, da zu sein, anstatt sie wegzudrängen. Nur dann höre ich auf, Opfer zu sein, kann Verantwortung für meine Gefühle übernehmen und erkennen: „Ich habe oft ohne Liebe über mich gedacht und mich lieblos behandelt. Heute sehe ich, dass ich mich damit nur selbst verletzt habe.“

Aber ist das nicht auch ein Vorwurf?

Nein, denn was immer geschah: Jeder hat es zu jedem Zeitpunkt so gut gemacht, wie er oder sie eben konnte. Wir alle haben Verstrickungen, die wir erkennen und auflösen müssen, um uns selbst lieben zu können und die Wunden der Vergangenheit zu heilen.

Kann es nicht auch sein, dass wir schlicht und einfach den falschen Partner gewählt haben?

Seien Sie gewiss: Sie sind noch nie an den falschen Partner geraten – ganz gleich, wie die Beziehung aussah. Unsere Partner lösen viele Emotionen in uns aus, die wir die längste Zeit unseres Lebens ablehnen: Ärger, Wut, Hass, Neid und Eifersucht, Unsicherheit, Ängste, Panik, Schuld und Scham. Wir ziehen einen Partner an, letztlich, um uns selbst in ihm zu erkennen. Die Wut des anderen ist die eigene unterdrückte Wut, die Untreue des Partners die eigene Untreue zu uns selbst. Und was jetzt da ist in unserem Leben, das will angenommen werden und verstanden werden. Auch die schmerzhaftesten Erfahrungen und Enttäuschungen können uns helfen, aus einem Leben voller Unbewusstheit, Angepasstheit und Unfreiheit aufzuwachen.

DREI ERFAHRUNGSBERICHTE

Wie bleibt die Partnerschaft lebendig? Durch Freiheit, sagt Top-Coach Robert Betz. Was das für die Liebe bedeutet, erläutert er im Interview.

Beatrix Müller (45) ist Heilpraktikerin für Psychotherapie. Sie will demnächst heiraten

„Endlich nehme ich ihn, wie er ist“

Ich habe mit dem Mann, den ich bald heiraten werde, vor einigen Jahren schon mal zusammengelebt – und es war so anders als heute. Damals war ich ständig eifersüchtig, hatte Angst, er könnte mich verlassen. Und genau das geschah dann auch. Er sagte: Ich liebe dich, aber ich will meine Freiheit. Über ein Jahr litt ich schrecklich, fühlte mich als Opfer. Zu meinem nächsten Geburtstag kam er vorbei, ich spürte, dass ich ihn noch liebte. Langsam näherten wir uns wieder an, lebten aber zwei Jahre in getrennten Wohnungen – und es fühlte sich gut an. Ich empfand das Alleinsein nicht mehr als Mangel. Dass der Mann, der sich nie binden wollte, mir einen Heiratsantrag gemacht hat, beglückt mich sehr.

Ursula Marens (67) ist seit über 20 Jahren verheiratet und hat als Heilpraktikerin eine eigene Praxis

„Ich habe meinen Mann bemuttert“

Mir ging es viele Jahre sehr schlecht. Ich habe in der Kindheit eine Menge Schlimmes erlebt, litt an depressiven Schüben. Ich wollte sogar meinen Beruf aufgeben. Für meinen Mann waren die vergangenen 23 Jahre schwierig, er musste viel aushalten. Ich habe ihn wie ein Kind behandelt, ihn ständig bemuttert. Seine Kleidung rausgelegt, Termine für ihn gemacht. Eine Therapie bei Robert Betz brachte eine große Veränderung: Ich begriff, dass ich weinen und Trauer und Angst spüren darf. Das hat auch meiner Ehe eine neue Richtung gegeben. Heute macht mein Mann, was er möchte, und ich, was ich möchte. Am Ende schauen wir dann zusammen, was geht. Für mich ist er dadurch männlicher geworden. Das gefällt uns beiden sehr gut.

Silvia Klein (44) ist Witwe und Mutter von acht Kindern. Sie arbeitet als Altenpflegerin

„Heute nehme ich mir Zeit für mich“

2008 wurde bei meinem Mann Krebs diagnostiziert, neun Wochen später war er tot. Es war keine gute Ehe, ich habe ihn trotzdem bis zum Ende zu Hause gepflegt. 20 Jahre lang habe ich nur funktioniert, habe ständig zugenommen. Ich war Mutter, Partnerin. Wer ich selbst war, wusste ich nicht. Heute frage ich mich: Wie habe ich all die Jahre überstanden? Nach dem Tod meines Mannes lernte ich einen neuen Partner kennen. Er war vier Jahre lang für mich und die Kinder da. Trotzdem kam es zum Bruch. Warum? Wir haben uns kaum um uns selbst gekümmert. Heute nehme ich mir Zeit für mich. Seitdem habe ich viele Kilos abgenommen – als fiele Ballast von mir ab.