Wenn Menschen auf Ihre Haltung zu Arbeit, Firma, Wirtschaft angesprochen werden, hören wir heute völlig andere Töne als vor 30, 40 Jahren. Der Wind der Meinung hat sich gründlich gedreht und weht denen, die eine Lanze für die Wirtschaft brechen wollen, kräftig entgegen. Was ist da passiert in den Köpfen und im Gefühl der Menschen? Obwohl jeder täglich von Produkten und Dienstleistungen profitiert und sich materiellen Wohlstand wünscht, begegnen immer mehr der Quelle dieses Wohlstands, der Privatwirtschaft, den Unternehmen und ihren Führungskräften, mit Häme, Vorwürfen, Aggression und Ablehnung.
Die Freude an der Arbeit scheinen viele verloren zu haben, die Zahl derer, die innerlich gekündigt haben, steigt ebenso wie die Zahl jener, die ihre Vorgesetzten für unfähig halten. Die Anti-Chef-Titel („Mein Chef ist ein Arschloch“ und ähnliche) in den Buchlisten erfreuen sich großer und steigender Beliebtheit. Das ‚Opfer-Bewusstsein‘ grassiert.
Der Sinn und die Freude am Arbeiten in der Gemeinschaft mit anderen ist vielen offenbar verloren gegangen und die Frage nach den Ursachen muss bald sehr konkret beantwortet werden, wollen Firmen nicht in einem Desaster enden. Natürlich gibt es immer noch Firmen, in denen es Mitarbeitern Freude macht zu arbeiten, aber die großen Trends wie sinkende Zufriedenheit, zunehmende Krankheitstage, Anstieg von Stress und vermehrte Ausfälle wegen psychischer und körperlicher Beschwerden, Mobbing und anderer destruktiver Verhaltensweisen sprechen eine eindeutige Sprache.
Verantwortlich für diese Entwicklung sind beide betroffenen Seiten, sowohl die Führenden als auch die geführten Mitarbeiter selbst. Menschen verbringen mehr Zeit an ihrem Arbeitsplatz als in ihrem Bett oder in ihrer Familie. Während Mitarbeiter in früheren Jahrzehnten froh waren, einen Arbeitsplatz zu haben, stellen sie heute ganz andere Ansprüche. Immer mehr wollen diese Zeit als sinnvoll empfinden und wünschen sich zunehmend Anerkennung, Wertschätzung und eine Gemeinschaft, in der sie gesehen und ernst genommen werden. Nur um Geld zu verdienen täglich acht und mehr Stunden mit einer Arbeit zu verbringen, erfüllt keinen Mitarbeiter, vor allem nicht die neue Generation der jetzt 20- und 30jährigen, auf Dauer mit Befriedigung, sondern führt zum Gefühl von Leere und Sinnlosigkeit und ist einer der wesentlichen Faktoren für die Erschöpfung und dem Gefühl der Sinnleere, unter der Mitarbeiter vermehrt leiden, zumal Druck, Stress, Angst in vielen Firmen deutlich höher sind als noch vor wenigen Jahrzehnten.
Auf der Seite der Unternehmen ist für diese Entwicklung vor allem ein völlig unzureichendes, antiquiertes Menschenbild verantwortlich, das den Mitarbeiter in erster Linie als ein vernunftbegabtes, rationales Wesen sieht, dem man klare Anweisungen geben muss, deren Ausführung zu kontrollieren und gegebenenfalls zu kritisieren bzw. zu belohnen sind. Freiraum für Eigenverantwortung und Kreativität gibt es nach wie vor nur in sehr engen Grenzen und wird durch Haltungen torpediert, die keinen Widerspruch dulden nach dem Motto „Sie haben das, was ich sage, nicht zu hinterfragen, sondern zu tun. Klar?“ Über solche hilflosen Haltungen von oft älteren Führungskräften können Vertreter der ‚Young Generation’ oft nur müde lächeln.
Aber es ist nicht nur ein Problem der Jüngeren in den Firmen, sondern vor allem eine Herausforderung der Führenden insgesamt, die das Führen von Menschen selten gelernt haben, sondern aufgrund fachlich guter Leistung zur Führungskraft befördert wurden und sich in der Begegnung mit ihnen untergeordneten Menschen überfordert fühlen.
Denn der Mensch ist weit mehr als ein nur rationales, denkendes Wesen. Er steckt auch voller Emotionen wie Angst, Wut, Trauer, Ohnmacht u.a., die mit dem Kopf nicht zu klären sind und denen er sich in dieser Zeit zunehmend ohnmächtig und hilflos ausgesetzt fühlt, weil niemand ihm zeigte, wie er mit ihnen angemessen umgehen und sie verändern kann. Und schließlich ist jeder Mitarbeiter (wie jede Führungskraft) vom Wesen her ein Mensch mit einem Herzen, das kein Chirurg finden kann, das sich nach Erfüllung, Verbindung zu anderen, Sinn und Wertschätzung, ja nach Liebe sehnt – und das auch am Arbeitsplatz. Das mag mancher ‚Personaler‘ oder Vorstand noch mit einer Handbewegung wegwischen wollen, aber jeder halbwegs offene Mensch spürt dies in der Begegnung mit Mitarbeitern.
Das Menschenbild, mit dem in unserer Wirtschaft Menschen begegnet wird, wird in naher Zukunft eine gründliche Korrektur erfahren und jede Unternehmenskultur, die Kommunikation, die Begegnung der Umgang im verstehenden und wertschätzenden Miteinander unter den Mitarbeitern sowie zwischen Führenden und Geführten wird sich in diese Richtung verändern müssen.
Gleichzeitig werden Mitarbeiter ihr Wissen über sich selbst, über ihren Umgang mit ihren Gedanken, Emotionen und den Impulsen ihres Herzens sowie mit ihrem Körper deutlich erweitern und korrigieren und ihre persönliche Verantwortung für ihr inneres Wohlbefinden und für ihre äußeren Erfahrungen, auch in der Welt der Arbeit, übernehmen dürfen. Solange das nicht geschieht, fühlen sich Menschen weiter als Opfer der Umstände, der Vorgesetzten und der Wirtschaft schlechthin. Der Erfolg der „Empörungsliteratur“ (z.B. „Ich empöre mich“ u.a.) und die Sympathie mit dem so genannten Wut-Bürger spiegeln allzu deutlich die Weigerung, sich selbst als Schöpfer und Gestalter seines Lebens zu betrachten und die Neigung, seine Verantwortung nach ‚oben‘ abzugeben. Vom ‚Jeder ist seines Glückes Schmied‘ ist heute nur noch selten die Rede.
Die vierzig und mehr Stunden, die Menschen wöchentlich am Arbeitsplatz verbringen, sind für Menschen weit mehr als ein Zeitraum der Leistungserbringung. Er ist der größte Bereich in ihrem Leben, in dem es um Selbsterfahrung, Selbstentwicklung, Reifung und persönliches Wachstum geht, auch wenn das die meisten selbst noch nicht begriffen haben. Innerbetriebliche Kommunikation, Begegnung und Weiterbildung kann sich darum in Zukunft nicht mehr einseitig auf die mentale Seite des Menschen beschränken, sondern wird den ganzen Menschen ansprechen und erfassen, verstehen, annehmen und fördern müssen. Wer den Menschen nicht in seiner Ganzheitlichkeit versteht und ihn in seinem Herzen erreicht, wird ihn verlieren und die steigende Zahl innerlicher Kündigungen (laut Gallup zur Zeit im Schnitt 21 Prozent) bestätigt dies.
So stehen Firmen jeder Größenordnung heute vor einer immensen Herausforderung im Umgang mit ihren Mitarbeitern und in der Gestaltung einer neuen Unternehmenskultur, die nicht mit ‚Aktionsplänen‘ von oben verordnet werden kann. Ihre Bewältigung erfordert ein grundlegend neues Denken und einen neuen Umgang von Mitarbeitern und Führungskräften mit sich selbst und mit dem Gegenüber. ‚Per order de mufti‘ geht in Zukunft gar nichts mehr. Diese Zeit der Transformation, in der sich das Bewusstsein der Menschen in den nächsten Jahren mehr verändern wird als in Hunderten Jahren zuvor, braucht Visionäre in den Unternehmen, die den Mut haben, sich selbst authentisch, herz- und gefühlsbetont in die Gemeinschaft einzubringen und anstatt permanent im ‚Change Management‘ umzustrukturieren, um einer wirklichen Transformation des Klimas, des Verstehens und des Umgangs im wertschätzenden Miteinander den Weg zu ebnen.
Kolumne für Netcoo – April 2013