Alles erreicht - und trotzdem unzufrieden?

Die Familie:gesund; der Partner: aufmerksam; die Wohnung: toll; der Job: richtig gut. Warum ist es dennoch da, dieses Gefühl, dass etwas fehlt? Fragen an den Psychologen und Erfolgs-Autor Robert Betz

Nichts ist befreiender als die Einsicht, dass wir das Glück bereits in uns tragen“, sagt der Coach und Autor Robert Betz. Klingt ja fast zu einfach, um wahr zu sein. Kennt der Mann Wege aus der inneren Unzufriedenheit?

Herr Betz, ich habe Sie aus Ihrer Mittagspause geklingelt. Macht Sie das unzufrieden?

Robert Betz: Nein, gar nicht! Statt mich wie geplant hinzulegen, setze ich mich jetzt mit dem Telefon in die Sonne und lass mich auf unser Gespräch ein.

In Ihren Büchern, Seminaren und Vorträgen erklären Sie, wie man ein glücklicherer Mensch wird. Kennen Sie selbst das Gefühl der Unzufriedenheit überhaupt noch – oder sind Sie darüber längst hinaus?

Robert Betz: Natürlich bin ich manchmal unzufrieden, ich bin schließlich ein Mensch. Es gibt Tage, da arbeite ich von morgens bis abends und habe hinterher trotzdem diese fiese kleine Stimme im Ohr, die mir zuflüstert, dass ich eigentlich noch viel mehr hätte erledigen können. Ich nenne sie meinen inneren Antreiber oder Druckmacher. Ein Überbleibsel aus der Kindheit, in der wir immer wieder zu hören gekriegt haben, dass wir etwas schaffen müssen, effektiv und fleißig sein müssen.

Und was tun Sie, wenn der kleine Antreiber mal wieder seine Peitsche schwingt?

Robert Betz: Gar nichts. Mindestens fünf Minuten gar nichts zu tun ist ein hervorragendes Mittel, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Beim bewussten Nichtstun gebe ich meinem Herzen die Chance, seine Bedürfnisse anzumelden. Im trubeligen, verstandesgesteuerten Alltag hat das Herz ja oft gar keine Chance, sich zu Wort zu melden.

Haben Sie schon immer so viel Rücksicht auf Ihr Herz genommen?

Robert Betz: Nein, früher habe ich in der Wirtschaft im Marketing gearbeitet, da waren Zwölf-Stunden-Tage keine Seltenheit.
Irgendwann ging’s dann los mit den Panikattacken, meistens in der Nacht. Klar, wer sich tagsüber ablenkt, den erwischt es in der Nacht, da funktionieren die Abwehrmechanismen nicht so gut. Ich habe mich dann selbst aus dem Verkehr gezogen, eine Therapie gemacht, bin wandern gegangen und habe gelernt, auf meine Gefühle zu achten. Unser Herz weiß ganz genau, was wir zum Glück brauchen. Wir müssen nur genauer zuhören.

Und wie schaffe ich das? Was soll ich tun, wenn ich mich diffus unzufrieden fühle, aber nicht recht weiß, woran das liegt?

Robert Betz: Ich würde Ihnen raten, zuerst mal eine Inventur Ihres Lebens zu machen, damit Sie sich selbst besser wahrnehmen. Machen Sie doch mal zwei Listen: Auf die erste schreiben Sie alles, was Sie an sich lieben, auf die zweite alles, was Sie nicht an sich mögen. Na, welche ­Liste ist länger?

Ich fürchte, die zweite …

Robert Betz: Wahrscheinlich. Bei vielen reicht für die „Was ich an mir nicht mag“-Liste kaum das Papier – ein Beweis, wie kritisch wir mit uns sind. Statt stolz auf das zu sein, was wir alles durchgestanden haben, mäkeln wir in einer Tour an uns herum. Ständig verurteilen wir uns für unser Verhalten, die Figur, die vermeintlichen Schwächen. Ist doch klar, dass jemand, der nur runter­gemacht wird, unzufrieden ist.

Gibt es noch mehr solcher Übungen?

Robert Betz: Oh ja. Stellen Sie sich vor einen Spiegel und versuchen Sie, sich zehn Minuten in die Augen zu sehen. Nicht die Falten, Pickel oder grauen Haare anschauen, sondern nur in die Augen blicken. Auf meinen Seminaren schaffen das nicht viele. Manche brechen ab, oft fließen die Tränen. Wir sind es gewohnt, uns nur aus dem kosmetischen Blickwinkel heraus zu betrachten, anstatt in unser Innerstes zu schauen.

Und was ist, wenn ich das, was ich dort sehe, nicht besonders schön finde? Wenn ich zum Beispiel erkennen muss, dass ich voller Neid, Zweifel oder Wut bin?

Robert Betz: Dann lassen Sie diese Gefühle zu. Die haben alle ihre Berechtigung und wollen gelebt werden.

Bitte? Soll ich etwa meinen fünfjährigen Sohn anbrüllen, weil der morgens mal wieder trödelt und mich wütend macht?

Robert Betz: Um Gottes willen, nein! Aber nehmen Sie sich später Zeit, um der Wut auf die Schliche zu kommen. Warum treibt Sie die Trödelei in den Wahnsinn? Was steckt dahinter? Möglicherweise haben Sie als Kind gelernt, dass Unpünktlichkeit besonders schlecht ist. Ihr Sohn bringt diese anerzogene Wahrheit ins Wanken, weil ihm Pünktlichkeit total egal ist. Er ist also nicht der Grund für Ihre Wut, nur der Auslöser Ihres Gefühls. Mitmenschen drücken unbewusst Knöpfe in uns, auf die wir reagieren. Das kann der mobbende Kollege genauso sein wie die unfreundliche Kassiererin im Supermarkt. Sie alle sind Arschengel.

Hab ich Sie da gerade richtig verstanden, sagten Sie „Arschengel“?

Robert Betz: Genau. Zuerst bezeichnen wir denjenigen, den wir nicht mögen, als Arsch. Dabei hilft er uns im Grunde nur, unsere unterdrückten Gefühle ans Tageslicht zu befördern. Erst wenn wir erkennen, warum wir in bestimmten Situationen immer wieder gleich reagieren, können wir die Spirale durchbrechen. Dann hat der Arsch uns einen echten Gefallen getan und wird zum Engel. Er hat uns dabei geholfen, ein zufriedenerer Mensch zu werden.

Also Zufriedenheit im Sinne von innerer Ausgeglichenheit?

Robert Betz: Seien Sie nur nicht so bescheiden mit dem Begriff. Zufriedenheit bedeutet, mit sich selbst in Frieden zu leben, das ist die höchste Form des Glücks. Sich selbst annehmen können, gut zu sich sein, erkennen, was einem schadet, und das ändern. Wer zufrieden ist, wird die Erfahrung machen, dass er ­damit bei anderen aneckt.

Warum das?

Robert Betz: Glückliche Leute lösen bei anderen oft Misstrauen aus. Das Schöne ist allerdings, dass wir als zufriedene Menschen nicht mehr von den Meinungen anderer abhängig sind. Nichts ist be­freiender als die Einsicht, dass wir das Glück nicht irgendwo suchen müssen, sondern bereits in uns tragen.

Interview von Birte Kaiser, erschienen in der FÜR SIE, Ausgabe 12/2012